Wer sich nach vorne in die erste Reihe setzt, soll sich warm anziehen, sonst würde es kühl werden, hatte der Reiseleiter noch gewarnt. Dabei wollte ich nur besser und vor allen Dingen ungehindert auf die Bühne sehen, auf der die Derwische tanzen sollten. Doch wie bei jeder guten Vorführung ist das Warten darauf ein Teil der Vorfreude und so dauerte es eine Weile, bis zunächst die Musiker, später dann auch die Derwische kamen.
Mit Musik und Gesang, einer Lobpreisung des Propheten begann alles, so stand es auf dem Zettel, der die Zeremonie erklärte. Das ist auch wichtig, weil sonst kaum jemand der Zuschauer die Sprache und den Ablauf verstehen kann. Aber ist mit einer solchen Erklärung das Wesen zu erfassen, das Wesen, das sich hinter dem Tanz der Derwische verbergen soll, das Geheimnis quasi? Wahrscheinlich genauso wenig, wie sich mit einer Erklärung über die Baugeschichte einer Kathedrale deren Faszination erklären lässt, welche die weit gespannten und hohen Gewölbe auf die Menschen ausüben. Nur: Hier ist es eine andere Kultur, in der ich nicht zu Hause bin, und die mir deswegen viel fremder und verschlossener ist, als meine vertraute und eigene Welt.
Wie sieben weiße Vögel breiteten die Männer später ihre Arme aus, die weiten Gewänder wurden zu Schwingen. Doch sie flogen nicht, sondern drehten sich nur, stundenlang, wie mir schien. Dabei hatten sie ihre Köpfe auf die Schultern geneigt und ihre Augen geschlossen. Sie drehten sich um ihre eigene Achse, schnell, weiter, ständig, ohne aufzuhören und ohne zu torkeln. Wenn ich mich so lange drehen würde, dann hätte ich hinterher einen Drehwurm und würde torkeln, wenn ich aufhören würde, mich zu drehen. Doch die Derwische drehen sich weiter, strecken den rechten Arm zum Himmel, mit geöffneter Hand, von dort empfangen sie sowohl die Weisheit, als auch die Güte Gottes, die sie mit dem anderen Arm, der zur Erde weist, an die Menschen weiterreichen.
Der steingraue Filzhut auf dem Kopf ist das Symbol für ihren Grabstein, die weißen Gewänder stellen die Totenhemden dar. Es wurde wirklich kühler im Raum, obwohl so viele Menschen drumherum saßen. Es wurde kühler, weil die weiten Gewänder der Tänzer wirbelten und damit die Luft kühlten.
1925 ließ Kemal Atatürk alle Derwischorden verbieten: Er sah in ihnen, die so ihre Traditionen verhaftet waren, eine Gefahr für die moderne Türkei, die er errichten wollte. Die Klöster, wie das in Konya, wurden aufgelöst und die meisten Tänzer, welche heute vor Touristen auftreten, sind in Vereinen organisiert und ich bin mir nicht sicher, ob sie hier einfach nur eine Show boten, oder dabei mit ihrem Tanz einen wirklichen Kontakt zu Gott aufbauen.
Dabei ist Konya eigentlich der beste Ort, um einen echten Derwisch zu treffen. Hier war das Kloster, in dem Rumi einst lebte und in dem die Derwische diesen von ihm erfundenen Wirbeltanz praktizierten. Zwar wurde aus dem Kloster ein Museum, doch viele der türkischen Besucher sehen eher nach Pilgern aus: Sie wenden ihre Handflächen zum Himmel, wippen mit dem Oberkörper, murmeln leise vor sich hin. Die langen Gewänder, die von den Sufis getragen wurden, hängen in Vitrinen. In Avanos dagegen, in einer Höhle, sahen wir eine Zeremonie der Derwische. Ob es echte waren? Wer weiß. Vielleicht ist auch alles nur Tarnung, damit die Männer, die diese Meditation praktizieren, nicht ins Gefängnis müssen. Immerhin wurde 80 Jahre nach der Aufhebung des Ordens die Zeremonie der Tanzenden Derwische auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen, welche auch aus dem mündlichen und immateriellen Erbe der Menschheit besteht und nicht nur aus alten Gebäuden und Stätten.
Die persische Flöte Nei wird von Laute, Zither und Trommel begleitet. Der Tanz der Derwische ist ihr Gebet, und ihr Zugang zu Gottes Geist. Kann ja sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott dazu gesagt hat, dass ringsum dicht gedrängt wie in einem Zirkuszelt viele zahlende Touristen sitzen sollen.
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