Sonntag, 29. Juni 2014

Reise nach Kappadokien - 10: Das Tal der Mönche

Ein bisschen sehen die Säulen mit ihren Mützchen so aus, als seien die Mönche zu Stein erstarrt und hätten ihre Kapuzen für immer über das Gesicht gezogen, so dass niemand sie mehr ansprechen kann. Die Säulen als solche werden Feenkamine genannt, und sie blieben dort stehen, wo die butterweichen Steinschichten durch ein härteres Lavamützchen geschützt waren und nicht von Wind und Wetter abradiert wurden. Auf dem Bild ist gut zu sehen, wie weich der Stein ist: Rechts die Trittstufen wurden von den Touristen eingegraben, auch der Mann rechts sitzt auf einem Sessel, der von den Berührungen geformt wurde. Unten im Tal sind die Säulen, die Feenkamine.

In einigen der Säulen sind Räume, in denen einst Einsiedler wohnten. Hinauf ging es nur mit einer Leiter. Denen war damals schon die Welt zu viel, die Menschen um sie herum, so dass sie hinauszogen in die Einsamkeit. Was würden diese Eremiten heute sagen, in unserer Zeit, in der jeder ständig und überall erreichbar sein muss? Ob es allerdings im Mönchstal Internet- oder Handyempfang gibt, habe ich nicht überprüft, obwohl ich in eine Ecke des Tales noch so lange einem kaum erkennbaren Trampelpfad gefolgt bin, bis es wirklich nicht mehr weiter ging und dieser zwischen Gestrüpp und Steinen endete.

Eine Kapelle ist St. Simeon geweiht, der im 5. Jahrhundert in der Umgebung von Aleppo lebte, als Einsiedler. Irgendwie macht ein solch zurückgezogenes Leben doch die Menschen neugierig. Wie lebt jemand so ohne Schwätzereien und alleine? Wer sich seinen Mitmenschen entzieht, gibt deren Phantasie Nahrung. Deswegen kamen möglicherweise die neugierigen Frauen dann auf die glorreiche Idee, dass Simeon Wunder wirken und heilen könne. Das war doch Grund genug, zu ihm zu pilgern - und ihn, der doch lieber alleine gewesen wäre, zu nerven. Also hat sich Simeon auf eine Säule gesetzt: So war er 15 Meter näher am Himmel und so weit weg von den Menschen, wie es ihm möglich war. Hier oben konnte er in aller Ruhe meditieren. Zur Erde stieg er nur dann hinab, wenn er ein wenig essen und trinken musste - seine Verehrer brachten ihm mehr als genug davon. Ob sich Simeon jemals wieder gewaschen hat? Dann war es wahrscheinlich ganz gut, dass er außerhalb der Nasenweite saß. Aber wahrscheinlich haben die früheren Heiligen ohnehin mehr gestunken, als wir uns heute vorstellen können. 

Der Film Simón del desierto (1965), auf deutsch: Simon in der Wüste ist ein Film von Luis Buñuel, den dieser über ebenjenen Säulenheiligen drehte. In diesem ist zu sehen, wie sich der Satan in unterschiedlichen Gestalten nähert und Simeon auf seinem steinernen Hochsitz verführen will: Als Frau im Matrosenanzug und als blonder Hirte mit Locken versucht er noch, Simeon von unten zu locken. Erst beim dritten Mal klettert Satan schließlich als Frau an der Säule hoch und schmust mit Simeon. Doch der Heilige bleibt standhaft, so wie seine Säule und sieht schlussendlich, wie der Böse auf einem Borstentier davoneilt: Simon in der Wüste

Samstag, 21. Juni 2014

Reise nach Kappadokien - 9: Die Kirchen in den Bergen von Göreme

Maria war noch keine fünfzig Jahre alt, als ihr Sohn am Kreuz starb. Von Josef ist irgendwie keine Rede mehr und eine Rente gibt es nicht, die sie in ihrem kleinen Häuschen mit Garten an der Seite friedlich hätte vernaschen können. Statt dessen: Kind tot, auch wenn es schon über dreißig Jahre alt war und wie sah die Zukunft aus? Alle, die an diesen seltsamen Verrückten geglaubt hatten, von dem behauptet wurde, dass er Gottes Sohn sei, verkrümelten sich lieber. Das war weniger gefährlich und außerdem verlangte niemand von ihnen, jetzt wieder ganz normale Juden zu sein und sich bitteschön auch so zu benehmen. Die Pharisäer konnten wieder in Ruhe in ihren Tempeln das Geld scheffeln, die Römer herrschten, alles war gut. 

Das Land, welches am nächsten lag, war offensichtlich Kappadokien. Vielleicht war es auch so, dass jemand von den Jüngern sagte: Du, ich kenne da jemanden, dort können wir in Ruhe leben, so wie wir es für richtig halten und den Menschen von Jesus erzählen. 

Jedenfalls war dort im Tal von Göreme und drumherum Platz genug und auch genügend Felsen, in die im Lauf der Zeit viele kleine Kirchen und auch Klöster und Einsiedlerzellen gemeißelt wurden. Praktischerweise wurden auch die Nischen fürs Geschirr, die Tische und Bänke in den Refektorien und sonstige Einrichtungen aus dem Stein gehauen. Nur unbequem sehen sie aus: In einer Rinne finden Beine und Füße Platz und der Tisch ist auf der gleichen Höhe, wie die Bank. So ist das Essen eher unbequem, es sei denn, man isst mit den Fingern oder hält die Schale in der Hand. 
Hat hier eigentlich jeder seine eigene Kirche aus dem Stein gekratzt? 

Vom 4. bis zum 13. Jahrhundert wohnten hier Christen, waren Kirchen und Klöster besiedelt. Die Geschichte der Evangelien wurde in bunten Comics auf die Kirchenwände gemalt, darüber gab es Streit, also wurden die Gesichter ausgekratzt, so hoch die Eiferer mit ihren Armen reichten. Später wurde es ruhig, alles geriet ein wenig in Vergessenheit und dürres Gras wuchs, nur gelegentlich von Schafen und Ziegen abgefressen. 



Heute ist hier ein Weltkulturerbe, alles darf beguckt werden, man kann fast mit der Nase an den Wänden riechen. Es sind keine Glasscheiben davor, trotzdem darf nicht fotografiert werden, damit die restlichen Farben, die noch da sind, nicht weiter verblassen. Dafür gibt es aber Bücher zu kaufen, in denen die Bilder alle drin sind. Weil niemand mehr weiß, ob die Kirchen ursprünglich überhaupt einen Namen hatten, oder ob sie nach denen benannt wurden, die hier wohnten, kochten, arbeiteten, stritten, sich liebten, was auch immer, wurden sie jetzt nach ihren Eigenheiten benannt. So, wie manche Höhlen oder Berge: Es gibt die Apfelkirche, die Spangenkirche, die Sandalen-Kirche, die Schlangenkirche und, unter anderem, die Schwarze Kirche, für die noch extra Eintritt nötig war. Dafür waren hier die Bilder am schönsten, am farbigsten erhalten, weil nur durch ein winzig kleines Fenster in der Felswand Licht hinein kam. Selbst die Tür war so gebaut, dass es erst in einen Vorraum ging und dann noch einmal um die Ecke, so dass wirklich wenig Luft und Licht in den Raum kam. Ein bisschen wirken die Räume im Stein wie die Grabkammern der Ägypter, die ja innen auch bunt bemalt sind. Wer weiß, vielleicht kannte ja jemand den Baustil, und fand ihn toll. So wie man heute an manchen Einfamilienhäusern sämtliche Scheußlichkeiten bewundern kann, welche die Besitzer unterwegs an anderen Häusern sahen. 


Sonntag, 8. Juni 2014

Reise nach Kappadokien: Der Obsidian

Sand gibt es wie Sand am Meer. Wenn dieser rein ist, dann ist es chemisch nichts anderes als Siliciumdioxid. Wird Sand heißer als 1700 Grad Celsius, schmilzt er und aus ihm entsteht beispielsweise Glas. Auch in den türkischen Vulkanen war es heiß genug, dass Steine und Sand schmolzen. Kühlt solch geschmolzener Sand, der als Lava aus einem Vulkan kommt, schnell ab, kann aus ihm schwarzer Obsidian werden

.Dieser lässt sich mit einem anderen Stein als Hammer bearbeiten, springt dabei auseinander und bildet scharfe und muschelförmige Bruchkanten, ganz ähnlich wie der Feuerstein. Die Menschen in der Frühzeit nutzten solche Klingen aus Obsidian und verwendeten Splitter aus Obsidian für ihre Speere und Pfeile, lange bevor sie lernten, Metall zu schmelzen. 

Die Römer später polierten den Obsidian so lange, bis sie sich in ihm spiegeln konnten. 

In Uchisar kamen wir an einer Werkstatt vorbei, in der Obsidian zu allerlei Kram verarbeitet wurde und der Reiseleiter auf diese Steine hinwies, die auch Vulkanglas genannt werden. 

Fantasyspieler kennen ebenfalls Obsidian: In ihren Welten dürfen die Magier mit Dolchen aus Obsidian kämpfen, da Waffen aus Metall ihre Zauberkraft behindern würden. 

Heutzutage wird der Obsidian zu Schmuck oder zu Figürchen verarbeitet. Und die Esoteriker mögen den Stein. Er gilt bei ihnen als Stein, der erste Hilfe leisten kann, weil er sowohl Schock, als auch Angst und Blockaden lösen soll. Er soll bei Wundheilung sowie gegen Raucherbein und kalte Füße helfen. Außerdem soll der Obsidian die Wahrnehmung verstärken, so dass Menschen verdrängtes erinnern können und hellsichtig werden. Ein Obsidian könne vergessene Begabungen zurückbringen. Na, dann plädiere ich doch dafür, dass künftig in den Hauptschulen Obsidiane verteilt werden. Die Kinder haben bestimmt ihre Begabungen nur vergessen...

.

Sonntag, 1. Juni 2014

Reise nach Kappadokien - 7: Der Burgberg von Uchisar

Erinnert sich noch jemand an Granatsplitter? Ich habe lange keinen mehr gegessen, aber das lag eher daran, dass meine Tante mir erzählt hat, was da alles so drin sei, so lange, bis mir glatt der Appetit darauf vergangen ist. Deswegen weiß ich gar nicht, ob es diese quietschsüßen Berge mit dem Schokoüberzug überhaupt noch gibt. 

So ungefähr, wie einer dieser süßen Granatsplitter, nur ohne Schokolade und viel größer, so ungefähr sieht der Burgberg von Uchisar aus. Er hat Löcher, die zeigen, dass er einst noch viel größer und dicker gewesen sein muss, denn die Löcher führen direkt in den Berg, zeigen Räume, denen quasi die Außenmauer fehlt. Von hier oben ließ sich gut beobachten, wer unten vorbeizog. Waren es Freunde, konnten sie auf Leitern hinaufgebeten werden. Waren es Feinde, mussten sie unten bleiben. Einige der Höhlen sind wohl noch bewohnt, in einem kleineren Berg haben die Bewohner ein Cafe eingerichtet. 

Auf dem Weg zum Burgberg stehen leere Häuser, die halb verfallen sind, mit filigranen Ornamenten rund um die Fenster. Da haben mal Griechen gewohnt, erklärt unser Reiseführer, seit diese vertrieben wurden, stehen die Häuser leer. Das geschah auch schon vor langer Zeit: 1923. Also nur eine kurze Zeit, nachdem die Armenier auf ihre Märsche ohne Wiederkehr getrieben wurden. Damals mussten die Griechen, die in der Türkei lebten, ihre Sachen packen und zurück nach Griechenland ziehen, die Türken, welche bis dahin in Griechenland lebten, kamen dafür zurück. So waren wieder alle Nationalitäten hübsch sortiert, jeder dorthin, wo er hingehörte. Weil aber mehr Griechen wegzogen, als Türken kamen, blieben viele Häuser leer. Bis heute. Dazu kam, dass es dann viele Orte gab, die nach diesem Austausch weder Lehrer, noch Apotheker oder Arzt hatten. Das waren die Berufe vieler Griechen - dafür kamen Türken, die weder lesen noch schreiben konnten, aus Griechenland zurück. Bis aus den Daheimgebliebenen und den Rückkehrern gute Nachbarn wurden, das dauerte - und dauert wohl manchmal noch bis heute, wie der Reiseleiter erklärte.