"Das ist doch alles Hottentottenmusik", wehrt die Großmutter ab, als ihr die Enkelin vergnügt die neue CD von Xavier Naidoo zum Hören anbot. Zwei Tage später wollte dafür das Kind weit weg von der Blasmusik in Stadtpark: "Das ist mir zu laut!"
„Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort, dort treffen wir uns.“ (Rumi)
Eine grüne Kuppel leuchtet weit über den Dächern. Darunter ist ein Grab, erzählt unser Reiseführer Ertan, und in Grab ist Dschalal ad-Din Muhammad Rumi begraben. Nie gehört? Ich auch nicht, bis jetzt jedenfalls. Rumi war ein islamischer Mystiker, also einer, der Zeug schreibt, was zwar kaum von jemandem wirklich durchdacht und verstanden wird, was sich dafür aber hübsch und tiefsinnig anhört.
In dem Gebäude stehen ziemlich viele mit Decken verhüllte Särge, auf jedem liegt ein Turban obenauf. Die Särge kommen mir ganz schön klein vor. Wurden damals die Toten zusammengefaltet? "Die Särge sind nur symbolisch", klärt Ertan auf, die Gräber seien ganz normal unten drunter, im Boden. Unter dem größten Sarg von allen liegt der islamische Mystiker und Gelehrte Rumi, dessen Vater schon ein Gelehrter war. Sohn studierte beim Vater, und übernahm später seine Stelle. So weit, so normal.
Irgendwann, da war Rumi (der Name kommt übrigens davon, dass in Konya damals die Rum-Seldschuken herrschten) bereits etabliert, geachtet und hoch angesehen, kam zu ihm ein Schüler, ein bis dahin unbekannter Derwisch namens Schams. Ab jetzt wird es romantisch, irgendwie, denn die beiden haben sich verliebt. So richtig ineinander verknallt, auch wenn Rumi längst verheiratet war und Kinder hatte. Dabei geht so eine Verknalltheit ja auch, wenn man nicht miteinander ins Bett stiefelt. Dann himmelt man sich an, schwärmt und ist überhaupt ganz hin und weg. Plötzlich interessierte sich Rumi nicht mehr für sein Leben als seriöser Lehrer der islamischen Religion, sondern aus ihm wurde ein liebestrunkener Mann, dem Dichtung, Musik und Tanz viel wichtiger waren, als die Moschee. Zum Glück, möchte man heute sagen. Sonst hätte er nicht diese Verse verfasst, die immer noch vielen Menschen bekannt sind, die sogar von Madonna vertont wurden. Überhaupt sind seine Verse in Amerika Bestseller, nur ich habe noch kein Buch von ihm gelesen. (Muss ich mal nachholen, solche Bildungslücken müssen einfach gestopft werden)
Jedenfalls beschreibt er darin seine Idee der Liebe, welche nicht nur zu einer Erkenntnis führen soll, sondern auch für alle Menschen und Religionen gleichermaßen gültig ist. Irgendwie gab es wohl damals auch Menschen, denen diese Liebe zwischen Rumi und Schams unheimlich gewesen sein muss. Nicht jeder kann schließlich einen Mystiker verstehen. Schams wurde von Rumis Anhängern angefeindet, abgelehnt, und er floh vor ihnen schließlich nach Damaskus. Rumi schickte seinen Sohn hinter ihm her, damit Schams zurückkam. Doch nach einer Weile verschwand Schams wieder. Wohin? Das weiß niemand. Vielleicht reiste er heimlich und spurlos an einen Ort, wo ihn niemand kannte und finden konnte. Vielleicht aber wurde er auch von eifersüchtigen Menschen ermordet.
Rumi gründete den Orden der tanzenden Derwische und glaubte daran, dass sich mit Musik und dem spirituellen Tanz der Mönche eine Ekstase erreichen ließe, in welcher der betende Tänzer an der universellen Liebe teilhaben könnte. Auf seinem Mausoleum steht: "Sucht unsere Gräber nicht auf der Erde - unsere Gräber sind in den Herzen der Erleuchteten". Und so pilgern viele Türken immer noch nach Konya, um Rumi zu ehren. Überhaupt ist Konya eine durchaus sehr konservative Stadt. In keinem Restaurant wird Alkohol ausgeschenkt, warnt Ertan alle seine Reisenden vor, damit die Enttäuschung später nicht so groß ist. Das Kloster selbst wurde unter Atatürk säkularisiert. Seitdem sind die tanzenden Derwische in einem Verein organisiert, erklärt Ertan.
In der Küche der Klosters ist gegenüber vom Herdfeuer eine Nische: Dort saß derjenige, der im Kloster der tanzenden Derwische aufgenommen werden wollte. Drei Tage lang musste er beobachten - und wurde beobachtet, ob er sich würdig verhielt. Rundherum an der Außenmauer entlang lagen die kleinen Zellen der Mönche, jede mit einem kleinen Kamin ausgestattet. Heute sind in den Zellen Dinge von damals ausgestellt: Musikinstrumente ebenso, wie alte Texte, Gewänder, Kalligrafien und Kunstwerke. Auf dem Bild sind die kleinen spitzen Schornsteine zu sehen: für jede Zelle einer. Vorne im Hof sind noch weitere Gräber, es gab viele ehrenwerte und verdiente Menschen, die dort beerdigt werden durften.
In der Moschee selbst schützen blaue Plastiküberzieher den Boden vor den Straßenschuhen. So können diese an den Füßen bleiben. Manche stehen und beten, manche haben es eilig und schieben, damit es schneller vorwärts geht. Dabei ist noch verhältnismäßig wenig los. Draußen auf dem Gelände wollen junge Menschen einen Film drehen, ich setze mich auf eine Bank und gucke eine Weile zu. Sie ändern immer wieder ihren Standort und bauen ihre Kamera neu auf, doch überall laufen ihnen Besucher ins Bild.
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