Die Autoscheibe ist früh am Morgen mit Eiskristallen bedeckt und auf dem Gras liegt Reif. Ganz normal zu dieser Jahreszeit. Was für normale Menschen nur bedeutet, dass sie zwei Minuten früher aus dem Haus gehen, damit sie die Autoscheibe frei kratzen, ansonsten die Heizung ein wenig höher drehen oder ein Stück Holz in den Ofen schieben. Dann ist es drinnen kuschelig warm und für draußen gibt es warme Jacken.
Peter und Thomas vom Straßenkreuzer |
Es geht durch eine gelb gestrichene Toreinfahrt in einen Hinterhof: Ein Fahrrad steht auf einem Container, es sind Drahtgitterboxen zu sehen und aus der Hauswand wachsen Kisten, groß wie Hundehütten,
mit Fenstern, in denen Flaschen stehen und Vorhänge hängen. Nein, da wohnt keiner. Das ist eine Installation, eine Ausstellung des Nürnberger Künstlers Winfried Baumann. Doch, in anderen Ländern hausen Menschen in solchen Drahtverschlägen, die gerade mal groß genug sein dürften, dass eine Matratze hineinpasst, versichern die beiden vom Straßenkreuzer. Solche Boxen würden in Asien teuer an Wanderarbeiter und Arme vermietet, die je nach Lage dafür umgerechnet zwischen 300 und 800 Euro zahlen müssten. Zwar fielen bei dieser Art zu wohnen keinerlei Nebenkosten an, aber ein schönes Zuhause ist das nicht.
Doch die Nürnberger als solche sind sozial eingestellt. Das Netz, welches Obdachlose auffangen soll, ist dicht geknüpft. Einige dieser Anlaufstellen zeigen Peter und Thomas, die ihre eigenen und teilweise langjährigen Erfahrungen mit dem Leben auf der Straße haben, von dem sie so gar nicht viel erzählen. Es gibt auch Obdachlose, die definitiv auf der Straße leben wollen. Die kann man in Nürnberg treffen, unterhalb der Brücke die zum Cinecitta führt. Solange dort alles sauber und ruhig bleibt, unternimmt die Polizei auch nichts dagegen. Wer mag, kann eine Kanne Kaffee oder Tee dort vorbeibringen, verraten Peter und Thomas.
Für obdachlose Jugendliche und junge Erwachsene gibt es das Sleep In, eine betreute Jugendschlafstelle. Hier können sich die Ausreißer duschen, ihre Wäsche waschen, sich aus gespendeten Lebensmitteln etwas kochen und ein bisschen vor dem Fernseher abhängen. Nach dem Ausweis wird niemand gefragt. Ab 23 Uhr ist Nachtruhe. Sechs Nächte darf ein obdachloser Jugendlicher hier pro Monat verbringen, jeweils bis zum Morgen, dann geht es wieder hinaus auf die Straße. Wer wirklich aus der Szene heraus und wieder Fuß fassen möchte, der darf auch länger hier übernachten.
Für obdachlose Männer gibt es 200 Übernachtungsplätze, für Frauen dagegen nur 15. Was auf den ersten Blick wie Diskriminierung aussieht, hat System. Denn die meisten Obdachlosen sind Männer. Frauen kriechen eher irgendwo unter und arrangieren sich, auch wenn es nicht schön ist.
Der Haupttreffpunkt für die Obdachlosen ist der Nürnberger Hauptbahnhof. Streetworker kennen die Treffpunkte und gehen dort regelmäßig hin.
Insgesamt kann die Stadt etwa 500 obdachlose Menschen unterbringen, wenn es nötig ist. Zu dieser Art der Unterkünfte zählen auch die Ausnüchterungszellen der Polizei.
Im "Fenster zur Stadt", einer Einrichtung der katholischen Stadtkirche Nürnberg, können sich Obdachlose und andere Menschen aufwärmen, einfach sitzen, Zeitung lesen, es gibt Kaffee und Tee für den jeder das zahlt, was er sich leisten kann. Und es gibt Beratung, für den, der sie braucht und möchte. Personal- und Raumkosten zahlt die katholische Kirche, Kaffee und Tee werden über Spenden finanziert. So zahlt jeder, was er kann.
Es gibt den Verein Kassandra e.V., der sich um Prostituierte kümmert, es gibt das Estragon, ein Restaurant, welches von der Aidshilfe betrieben wird. In diesem Projekt arbeiten Menschen, die behindert sind oder andere Schwierigkeiten haben. Nebenan bietet der Verein Lilith e.V. drogenabhängigen Frauen die Möglichkeit, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Und natürlich der Straßenkreuzer selbst, der Obdachlosen neue Perspektiven bietet. In Nürnberg wird viel geleistet.
Wer Interesse an einer solchen Stadtführung in Nürnberg hat, der kann sich an die Mitarbeiter des Straßenkreuzers wenden. Jederzeit.
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