Sonntag, 6. Juli 2014

Reise nach Kappadokien - 11: Das Tal der Steinernen Soldaten

Es heißt, dass ein guter Bildhauer weiß, welche Figur sich in dem Stein verbirgt, den er noch als großen, groben Klotz vor sich stehen hat. In seiner Arbeit mit Hammer, Meißel und Schlageisen zeigt der Bildhauer seine Schlagfertigkeit, wenn Splitter für Splitter die Blöcke so raffiniert behauen werden, dass die daraus entstandenen Skulpturen eine lebendige Präsenz erhalten. Ovid erzählt in seinen Metamorphosen von Pygmalion, der als Bildhauer die Statue einer Frau schuf - nachdem er mit echten Frauen irgendwie nicht zurechtkam - und diese dank der Göttin der Liebe sogar lebendig wird. 

Ob das für Wind und Wetter auch so gilt? Diese brauchten zwar entschieden länger dafür, bis sie Sandkörnchen für Sandkörnchen von den Statuen entfernt hatten, so ganz ohne anderes Werkzeug, wie es ein Bildhauer gewöhnlich benutzt. Aber wenn ein Bildhauer nur pusten würde, bräuchte er ebenfalls länger, als sein Leben dauert. Immerhin schufen Wind und Wetter im Lauf der Jahrmillionen im Tal der Steinernen Soldaten einen ganzen Skulpturenpark: 


Wie in den ständig wechselnd vorüberziehenden Formationen der Wolken am Himmel lassen sich mit ein wenig Phantasie in den Steinen Figuren entdecken, eine Madonna ist zu sehen, miteinander schwätzende Weiber und ein ruhendes Kamel. Wie lebensecht das Kamel von Wind und Wetter aus dem Stein geschmirgelt wurde, zeigt der Zaun um den Stein herum, der sämtliche Besucher hindern soll, in den Sattel zu steigen. Die Schuhe der Touristen graben ebenso geschwind wie deren Finger auf der Suche nach Halt so tiefe Rillen in den weichen Stein, dass von dem Kamel in Nullkommanix mehr übrig bliebe. 

Der Name des Tals erinnert an eine so ferne Vergangenheit, die von niemandem mehr überprüft werden kann. Ob sich alles so zutrug, wie es erzählt wird? Einst fragte König Krösus, der für seinen Wohlstand und seine Freigebigkeit so bekannt war, dass sein Name als Synonym immer noch für spendable Menschen gilt, das berühmte Orakel von Delphi. Dessen Weissagung: "Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören", interpretierte Krösus so, als sei ihm der Sieg bereits sicher und zog gegen die Perser. 

Den Halys überquerend, kam Krösus in das von den Persern regierte Kappadokien. Im Tal der Steinernen Soldaten trafen die Lyder und die Perser in einer Schlacht aufeinander, von der es bei Herodot heißt: „Als Phraortes tot war […] und Kyaxares gegen die Lyder stritt, dazumal, als mitten im Streit Nacht ward aus dem Tag […] und dann ganz Asien oberhalb des Halys unterwarf... 

Die Sage erzählt, dass sich die Sonne verfinsterte und somit die Schlacht unterbrach. Denn in der Antike - und Jahrhunderte später immer noch - galt eine Sonnenfinsternis als ein Zeichen, welches Unheil bringt. Dabei hatte Thales von Milet diese Sonnenfinsternis sogar vorausgesagt. Als diese tatsächlich kam, ließen die Kämpfer von ihrem Kampf ab und schlossen Frieden. Jedenfalls vorerst, denn später wurde Krösus tatsächlich von den Persern besiegt. Diejenigen Krieger, welche nicht aufhören wollten und weiterkämpften, versteinerten und sind bis heute zu sehen, im Tal der Steinernen Soldaten. 

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