Bei meiner ersten Begegnung mit einem Karpfen war ich sieben Jahre alt: Der
Karpfen schwamm in unserer blauen Kinderbadewanne, die auf dem Fußboden in der
Küche stand. Ich kniete neben der Wanne und schaute fasziniert zu, wie der
Fisch seine gering bemessenen Runden drehte. Vorsichtig steckte ich die Hand
ins Wasser und streichelte den Karpfen vorsichtig über den Rücken. Iiiih.
Glitschig und kalt. Ich wähnte mich mutig. Noch mutiger war mein kleiner
Bruder, fünf Jahre jünger als ich. Der steckte die Arme bis über beide
Ellenbogen in das Wasser, wollte den Fisch fangen und haben. Es gab einen
lauten Platscher und er kippte kopfüber in die Wanne, gleichzeitig sprang der
Fisch hinaus und zappelte wild auf dem Fußboden. Brüderchen saß breit grinsend
und patschnass im Wasser, freute sich ganz offensichtlich und stemmte die Hände
auf dem Wannenrand. Es ist erstaunlich, wie kleine Jungs eine für alle anderen
offensichtliche Niederlage sofort in einen Sieg für sich ummünzen. Jedenfalls
war alles zusammen eine schöne Sauerei, überall Wasser und der kleine Bruder
ebenfalls patschnass. Ich glaube, da hatten meine beiden Eltern eine Weile zu
tun, bis alles wieder trocken war.
Ich war längst erwachsen und hatte ein Kind, als ich die nächste Begegnung mit einem Karpfen hatte, der in Stücke geschnitten und blau
zu Heiligabend auf dem Teller mit dem Goldrand lag. Das freundlich gemeinte Angebot
an das Kind, es könne auch Fischstäbchen essen wies selbiges empört zurück:
"Ich bin doch kein Baby mehr". Dabei blieb es. Zwar isst keine meiner
Lieblingshausziegen Fisch, aber der Karpfen zählt nicht zu dieser Gattung.
Vielleicht haben das ja die Mönche auch so gesehen, die seit dem Mittelalter
den Karpfen in Weihern züchteten. Karpfen, nun ja. Wenn es sein musste, dann
habe ich ihn gegessen, aber so überragend fand ich ihn nicht. Es ist mit dem
Karpfen wie mit vielen anderen Dingen auch: Weil er teuer war, gab es ihn
selten. Heiligabend war ein besonderer Abend, da musste auch das Essen dem
Anlass entsprechend angemessen sein. In diesem Fall gab es den Karpfen aus der
Tradition der bürgerlichen Küche heraus, weil es schon immer so war und selbst
die Lieblingshausziegen führen diese Familientradition fort, weil es sich nun
einmal so gehört, keiner außer ihnen sie weiter führen kann. Und weil der
Karpfen zu Weihnachten kein Zankapfel war, sondern ein Symbol: Der Tisch war
weiß gedeckt, mit dem Goldrandgeschirr und Silberbesteck, jeder hat sich extra
und ordentlich angezogen und nach dem Essen wurden auch die Geschenke
überreicht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen