Samstag, 15. Februar 2014

Karpfen - eine Annäherung

Bei meiner ersten Begegnung mit einem Karpfen war ich sieben Jahre alt: Der Karpfen schwamm in unserer blauen Kinderbadewanne, die auf dem Fußboden in der Küche stand. Ich kniete neben der Wanne und schaute fasziniert zu, wie der Fisch seine gering bemessenen Runden drehte. Vorsichtig steckte ich die Hand ins Wasser und streichelte den Karpfen vorsichtig über den Rücken. Iiiih. Glitschig und kalt. Ich wähnte mich mutig. Noch mutiger war mein kleiner Bruder, fünf Jahre jünger als ich. Der steckte die Arme bis über beide Ellenbogen in das Wasser, wollte den Fisch fangen und haben. Es gab einen lauten Platscher und er kippte kopfüber in die Wanne, gleichzeitig sprang der Fisch hinaus und zappelte wild auf dem Fußboden. Brüderchen saß breit grinsend und patschnass im Wasser, freute sich ganz offensichtlich und stemmte die Hände auf dem Wannenrand. Es ist erstaunlich, wie kleine Jungs eine für alle anderen offensichtliche Niederlage sofort in einen Sieg für sich ummünzen. Jedenfalls war alles zusammen eine schöne Sauerei, überall Wasser und der kleine Bruder ebenfalls patschnass. Ich glaube, da hatten meine beiden Eltern eine Weile zu tun, bis alles wieder trocken war. 

Ich war längst erwachsen und hatte ein Kind, als ich die nächste Begegnung mit einem Karpfen hatte, der in Stücke geschnitten und blau zu Heiligabend auf dem Teller mit dem Goldrand lag. Das freundlich gemeinte Angebot an das Kind, es könne auch Fischstäbchen essen wies selbiges empört zurück: "Ich bin doch kein Baby mehr". Dabei blieb es. Zwar isst keine meiner Lieblingshausziegen Fisch, aber der Karpfen zählt nicht zu dieser Gattung. Vielleicht haben das ja die Mönche auch so gesehen, die seit dem Mittelalter den Karpfen in Weihern züchteten. Karpfen, nun ja. Wenn es sein musste, dann habe ich ihn gegessen, aber so überragend fand ich ihn nicht. Es ist mit dem Karpfen wie mit vielen anderen Dingen auch: Weil er teuer war, gab es ihn selten. Heiligabend war ein besonderer Abend, da musste auch das Essen dem Anlass entsprechend angemessen sein. In diesem Fall gab es den Karpfen aus der Tradition der bürgerlichen Küche heraus, weil es schon immer so war und selbst die Lieblingshausziegen führen diese Familientradition fort, weil es sich nun einmal so gehört, keiner außer ihnen sie weiter führen kann. Und weil der Karpfen zu Weihnachten kein Zankapfel war, sondern ein Symbol: Der Tisch war weiß gedeckt, mit dem Goldrandgeschirr und Silberbesteck, jeder hat sich extra und ordentlich angezogen und nach dem Essen wurden auch die Geschenke überreicht. 



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